von Aurelia Jurtschitsch
In den Nagel-Objekten von Michl Herberstein steckt viel drin, im wörtlichen Sinn: Sie sind gespikt mit In-formation. Jede dieser Skulpturen ist ein singuläres, faszinierendes in sich geschlossenes Individuum, das durchaus unhinterfragt mit Staunen über die unerwartete Schönheit und die irrwitzige Akribie der Herstellung wahrgenommen werden kann. Es lohnt sich jedoch ein genauerer Blick auf ihre Details und ihre Genese.
Diese Werkgruppe umfasst bisher – im Zeitraum von 2014 bis 2016 entstanden – etwa 20 Arbeiten. Ihr gemeinsamer Nenner ist ein hölzerner Nukleus, mit seiner natürlichen oder zweckmäßig gegebenen Form, jedenfalls mit einer inspirierenden Form. Darüber kommt dessen Beschlag, dessen In-formation mit Metallnägeln, was gleichzeitig eine Überhöhung der ursprünglichen Form darstellt. Diese umgedrehten Spikes, dicht oder locker aneinandergereiht, bilden schemenhaft eine neue Oberfläche, eine neue Aura aus Glanzpunkten: schimmernd wie Schuppen, eisern und schützend wie eine Rüstung, stachelig wie ein Igel und doch geschmeidig jeder Wölbung des Körpers folgend wie Fell – gar schmückend wie Piercings.
Das Holz
Jedes Objekt ist ein Unikat aufgrund seiner Gewordenheit und Natur und so ist auch die gewachsene Form in gewisser Weise selbsterklärend. – Mit unverkennbarer Vorliebe verwendet Herberstein Hölzer, die er in seiner näheren oder weiteren Umgebung findet.
Zum einen etwa Schwemmholz, das bereits seine Geschichte in sich birgt und als bereits vorkonturierte Form sich anbietet. Diese muss allerdings noch auf Festigkeit überprüft werden, gegebenenfalls noch so weit nachgebessert, dass genügend Spannkraft zur Aufnahme der Nägel gegeben ist.
Auch ausgedientes, fermentiertes, reifes, zur Ruhe gekommenes Holz wie etwa ein alter Deckentram (und was der Zahn der Zeit inklusive Holzbock bzw. Holzwurm übrig gelassen haben) reizt die Entdeckungslust des Künstlers. Indem er in einem ersten Prozess alles Morsche entfernt und den haltbaren Kern freilegt, lässt er sich selbst von der eigentlichen inneren Struktur eines solchen Balkens überraschen. Als Ergebnis wird meist ein schlankes, weich gerundetes, elegantes Stück Holz als Basis zur weiteren Gestaltung gewonnen.
Manche Objekte machen kein Hehl aus ihrem Vorleben als Türe oder Sessel. Sie dürfen auch in ihrem sinnhaften Gefüge weiterhin bestehen und liefern mit ihren freiliegenden Maserungen gleichsam die Spur, der weiter nachgegangen werden kann…
Als Ausnahmen können jene Holz-Nagel-Objekte gewertet werden, wo Herberstein „willkürlich“ seine Idealvorstellung einer künstlerischen Form ins Holz schnitzt: Hier werden bewusst Symmetrie und Ausgewogenheit ausgelotet.
Vereinzelt, bislang nur drei Mal, wurde an den Objekten die Signalfarbe Rot als „Grundierung“ verwendet, an sich ein Paradoxon und somit eine spannungsvolle Doppeldeutigkeit. Jedenfalls wird mit diesem Schritt die Natur des Holzes weitgehend verdeckt und unterstreicht das Herüberholen in den zivilisierten, ja Kunstkontext.
Die Nägel
Die Grundform eines Nagels – Kopf und Schaft – und seine Funktion sind vordefiniert, Material und Größe jedoch variabel und werden gezielt gewählt und auf das Objekt abgestimmt.
Normalerweise verschwindet ein Nagel völlig im Material und nur sein Kopf ist als flache Scheibe zu sehen, denn seine hauptsächliche Aufgabe ist es, zwei Teile so zu durchdringen, dass sie letztlich fix und haltbar verbunden sind. Selten wird er wird nur so weit in das Trägermaterial eingeschlagen, dass noch ein wesentliches Stück des Schaftes heraussteht und quasi als Haken dient.
Aus diesen zwei prinzipiellen Funktionen eines Nagels hat Herberstein eine dritte Version für den künstlerischen Prozess gewählt. Die dicht aneinander platzierten Nägel werden der Hakenfunktion entledigt, diese wird schlichtweg ad absurdum geführt: die Herberstein’schen Nägel stehen pur um ihrer selbst willen und um ihres fein abgestimmten pointilistischen Gesamteindruckes willen. Ihre Funktion ist eine optische, haptische, ästhetische.
Von entscheidender Bedeutung ist die Beschaffenheit des Kopfes, denn sie bestimmt die Wirkung der zu bildenden Oberfläche: glatt, geriffelt, glänzend, matt… Davon hängt es ab, ob und wie Licht reflektiert oder „verschluckt“ wird.
Unbehandelte Eisennägel haben das Potential Rost anzusetzen, verzinkte Stahlnägel garantiert nicht. Sonderformen mit einer breiten Scheibe als Kopf bieten eine unvergleichlich größere Oberfläche und können – dicht an dicht gesetzt – gleichsam einen metallischen Schild, vergleichbar einer Phalanx bilden.
Wie viele Nägel stehen auf einem Objekt? –
Unzählbar, unschätzbar, unwichtig.
Auf jeden Fall genau die richtige Anzahl.
Man darf diese Objekte nicht zu eng sehen als eine geschlossene Werkgruppe, auch wenn sie das eine oder andere Mal als solche präsentiert werden und unwidersprochen gewisse hervorstechende Merkmale sie eindeutig als eine solche zuordnen lassen.
Genaugenommen stellen sie ein markantes „Dazwischen“ dar bzw. einen Gipfelpunkt, an dem sich eine frühere Periode intensiver Auseinandersetzung mit Holz mit einer sich ankündigenden Lust überkreuzte, wieder mit Metall zu arbeiten, – ein Echo aus der Jugend- und Ausbildungszeit.
Als sollte ein Gegenpol zum Holz gefunden werden – diesem organischen Material mit seinen weichen Formen und seiner eigenen inneren Struktur, ein Material, das sich warm anfühlt und bei aller Festigkeit und Tragfähigkeit doch auch relativ verletzlich, ja vergänglich ist. – Dem etwas Kaltes, Hartes entgegensetzen, etwas Unorganisches, das unter Zug oder Schlägen geformt wurde, etwas Spitzes, das eindringen, durchdringen, festigen – und verletzen kann: metallische Nägel.
Oder ging es um Geschicklichkeit? …um die Lust am Experimentieren?! – Herberstein kennt die verwendeten Materialien von Kindheit an, hat mannigfach damit hantiert, gewerkt, geschaffen, auch verworfen – bisweilen ein lähmendes Wechselbad an Lob und Entmutigung. Neue Findungen laufen oft unbewusst ab, was nicht heißt, dass sie völlig unkontrolliert vor sich gehen. Erst ein freier, hingebungsvoller, spielerisch-forschender Zugang er-findet ungeahnte Ausdrucksformen. – Die Idee zur Verbindung dieser beiden Materialien in dieser extravaganten künstlerischen Weise resultiert aus all diesen Ansätzen. Dazu weiß der Künstler selbst nur zu gut, welche Prinzipien ihn antreiben, lenken oder stoppen.
So ist ihm berufliche Ausbildung und handwerkliche Beherrschung eine sichere Basis bei der Bearbeitung diverser Materialien: Holz, Stein, Metall – speziell auch grafische Techniken bis hin zu Animationsfilm bzw. Malerei. Das persönliche ästhetische Empfinden ist darüberhinaus bei der künstlerischen Formgebung ausschlaggebend. Diese drei – Handwerk, Medium und Ästhetik – bilden die „Ursuppe“ – wie er es selbst bezeichnet, aus der Herberstein reichlich schöpfen kann.
Und wenn sie nicht schon in den Genen liegen, so kamen durch familiäre Prägung starke traditionelle Werte dazu: Der Anspruch, etwas Solides und Haltbares, etwas Wesentliches und Qualitätsvolles zu schaffen. Werte und Wertungen sind im Spiel, steuern die Prozesse, sind Entscheidungshilfen: Holz ist gut. Sämtliche Details müssen bedacht sein und gemeistert werden. Leistung zählt, voller Einsatz, sich Herausforderungen zu stellen und Durchhaltevermögen zeigen.
Herberstein weiß, dass all das wie selbstverständlich in seinen Arbeiten steckt, er weiß, dass sein Tun Qualität hat, sprich: Schnell, schnell geht gar nicht – und leicht fallen darf die Sache auch nicht. Vielmehr darf, ja muss der Produktionsprozess viel Kraft kosten, muss schier weh tun und ihm lange absolute Konzentration abfordern, um nur ja nicht in den Ruch zu kommen, sein Werk sei ein unüberlegter Glücksfall, ein Zufallsprodukt gewesen. Diese Art zu Schaffen ist wie ein Automatismus – bis zur Erschöpfung, schonungslos. Doch gleichzeitig eine Rhythmisierung der Handgriffe, ein Flow – selbstverloren. – Und genau dann kippt es in diese beglückende Vertiefung des Tuns, wo sich eine Leichtigkeit und Selbstvergessenheit wie in der Kindheit einstellt. –
Aber der vielleicht wichtigste Aspekt der Motivation mit Holz zu arbeiten ist der Wunsch, ja das Bedürfnis Herbersteins, diese alten, toten Äste und Stämme wieder zum Leben zu erwecken, ihnen ihre innewohnenden Lebens-Geschichten herauszulocken, zuerst durch langes Betrachten, Studieren, dann durch geeignete Behandlung. Dieses „Beleben“ darf so weit interpretiert werden, dass auch nach Fertigstellung eines Nagelobjektes dieses sich noch weiterentwickeln kann; dann nämlich, wenn das Holz sich verändert, nachdunkelt oder die Nägel teilweise Rost ansetzen… Seine Objekte sind etwas physisch Errungenes, etwas verlebendigtes Abstraktes, gewissermaßen Unnachahmliches. *)
Jedes Stück ist ein kleines Abenteuer, auf das sich der Künstler einlässt. Im Wesentlichen ist der Prozess klar vorgegeben und dennoch gilt es, sich im einzelnen leiten zu lassen von Struktur, Maserung und Lebensspuren als wäre jedes Stück ein gleichwertiges, eigenwilliges Gegenüber. Mit der richtigen Dosis von Einfühlung und Beharrlichkeit führt dieser Weg zum Ziel – der Erschaffung faszinierender, im wahrsten Sinn „bestechend schöner“ Objekte.
Es ist sein persönlicher Schatz, zu wissen, dass er die Fähigkeit hat, sich mit großer Freude in dieser Art beschäftigen zu können (auch wenn widrige äußere Faktoren in gewissen Zeiten dagegen standen) und wunderbare Artefakte hervorbringen zu können, die letztlich auch andere in beglückendes Staunen zu versetzen imstande sind. Dieses innere Feuer, dieser ganz individuelle Zugang zu den Dingen und zum Sein war und ist Herbersteins künstlerischer Funke und die geschaffenen Objekte sind Zeugen und Botschafter davon.
Zu den Nagelobjekten: